Das Kirchenfenster der Steins

Es sind solche überwältigenden Momente, die jahrelange Ahnenforschung krönen: Wenn man eine Kirche betritt und ein buntes Fenster findet, das der eigenen Familie gewidmet ist. Aber der Reihe nach.

Natürlich spielt dieses Erlebnis in Gerstungen, jenem Ort, in dem meine verzweigte Verwandschaft über Jahrhunderte lebte, auf spektakuläre Weise eine Mühle verlor, aber auch bis heute im Museum hängt. So wie der Schneidmüller Christoph Stein (1843-1920), jenes Gerstunger Original, das gerne mal in der Kirche fror und dabei auf die Gedenktafel für seine Großeltern blickte, wie es der Gerstunger Superintendent Hermann Otto Stölten einst beschrieb.

Die Gerstunger Kirche, im Vordergrund das Schloß

Eine Gedenktafel? Für einen Stein? In der Kirche?

Ich hatte davon schon vor vielen Jahren gehört, auf Fotos aber keinen Hinweis darauf finden können und dann das Thema aus den Augen verloren. Vor kurzem habe ich es endlich selbst in die Gerstunger Kirche geschafft. Ein erstaunlicher Bau, schon weil man dem schlichten Gebäude von außen nicht ansieht, dass sich darin gleich drei Emporen über dem Innenraum erheben.

Innenraum der Gerstunger Kirche

Auf meiner Suche nach Spuren der Steins in der Kirche stieß ich zunächst auf eine Gedenktafel für die Teilnehmer am Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71. Im 94ten Infanterie-Regiment kämpfte demnach Johannes Stein – nur welcher? Entweder mein Ur-Urgroßvater Johannes Stein (1845-1922). Oder mein Ur-Urgroßonkel sechsten Grades, Johannes Stein (1844-1904). Ein neues, ungelöstes Rätsel. Von einer Gedenktafel für die Großeltern des Schneidmüllers Steins war aber im Erdgeschoss nichts zu sehen.

Johannes Stein (rechte Spalte) auf einer Gedenktafel in der Gerstunger Kirche

Doch wie ich dann erfuhr, saßen Frauen und Männer in der Kirche früher getrennt: Die Damen unten, die Herren auf den Emporen. Also stieg ich über eine der Außentreppen der Kirche nach oben – und da war es. Ein bunter Einsatz im Kirchenfenster auf der Nordwestseite der Kirche.

Gedenktafel für Samuel Stein und seine Frau Christina Elisabeth

„Samuel Stein, Herrenmüller u. Christ. Elisab. geb. Schäfer
Stifter des Steinschen Armenlegats.
1860.“

Das Kirchenfenster mit der Gedenktafel für die Steins

Der Herrenmüller Samuel Stein (1781-1848) war mein 7x-Urgroßonkel vierten Grades gewesen. Seine Ehefrau Christina Elisabeth (1785-1860) hatte ihn um zwölf Jahre überlebt und stiftete kurz vor ihrem Tod die Summe von 1000 Thalern für eine „wohltätige Orts-Armenkasse“, wie es der damalige Bürgermeister J.J. Wagner in seiner „Chronik von Gerstungen 1817-1882“ berichtet. Die Kasse wurde laut Wagner „mit den freywilligen Beyträgen der Reicheren Bewohner“ gebildet.

Der jährliche Zinsertrag des Steinschen Beitrags – heute kaum mehr vorstellbare 5 Prozent, also 50 Thaler – wurde jährlich vor Weihnachten an bedürftige Gerstunger verteilt.

Blick auf das Fenster mit der Gedenktafel für die Steins

Wer nun übrigens glaubt, dass der Schneidmüller Stein, der bei jedem Kirchgang auf die Gedenktafel für seine Großeltern blickte, in direkter männlicher Linie von dem Stifter des Steinschen Armenlegats abstammt, liegt falsch! Samuel Stein war sein Großvater mütterlicherseits. Denn: Samuel Steins Tochter Anna Christina (1820-1910), des Schneidmüllers Mutter, hatte ihren Cousin zweiten Grades Johann Heinrich Stein (1817-1870) geheiratet. Der Familienname blieb erhalten, die Vorfahren sind ab den Ur-Urgroßeltern die gleichen. Ein klassischer Fall von Ahnenschwund.

Außenansicht des Fensters – darüber zu erkennen ist die Jahreszahl 1588, das Baujahr der Kirche

Doch das ändert nichts daran, dass bis zum heutigen Tag eine gläserne Gedenktafel an die Spende der Witwe Stein erinnert – es ist das Kirchenfenster der Steins.


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