„Es hat schon mal jemand eine Mühle versoffen“. Dieser mahnende Satz soll in meiner Familie immer mal wieder gefallen sein, wenn jemand allzu ausgiebig gefeiert hatte. Dass viel mehr dahinter steckt als nur der Verlust einer Mühle, entdeckte ich beim Durchsehen des sogenannten Seelenregisters von Gerstungen, einem Verzeichnis aller Familien des Ortes.
Die Mühle, um die es geht, ist die sogenannte Herrnmühle, in Gerstungen an der Werra gelegen. Sie war seit 1701 im Besitz meiner Vorfahren gewesen. Doch im Jahr 1886 fand die Ära der Steins in der Herrnmühle ein dramatisches Ende.
Den ersten Hinweis dazu lieferte mir das erwähnte Seelenregister, das auf Seite 96 die Familie von Christian Daniel Eduard Stein und seiner Ehefrau Anna Elisabeth Lingemann aufführt. Die beiden hatten 1865 geheiratet und insgesamt neun Kinder. Hinter dem Namen von Anna Elisabeth Stein, geb. Lingemann, stieß ich auf den Eintrag: „† 10 April 1886 ermordet von ihrem Mann“.
Was war passiert? Ich ging auf Spurensuche, konnte anhand von Zeitungsartikeln aus dem Jahr 1886 sehr präzise nachvollziehen, was sich damals abgespielt hatte.
Eduard Stein, geboren 1841, war vermutlich 1883 in die USA gereist. Auf einer Passagierliste des Schiffes „Donau“ wird ein „Ed. Stein“, 42 Jahre alt und Müller aus Thüringen, aufgeführt. Seine Frau und die jüngeren Kinder hatte er in Gerstungen zurückgelassen. Die Mühle in Gerstungen verpachtete Eduard Stein an den Müller Christian Voigt.
Was für ein Mensch war Eduard Stein? Die Zeitungsberichte zeichnen das Bild eines “von Jugend auf” jähzornigen Mannes, der nicht nur mit dem Mieter seiner Mühle um geschäftliche Dinge zankte, sondern auch rasend eifersüchtig auf seine Frau war. Dass er häufiger mal zu tief ins Glas schaute, machte seine Launen wohl nicht erträglicher.
Im Frühjahr 1886, zwei Wochen vor dem Mord, tauchte Eduard Stein überraschend wieder in Gerstungen auf. Vielleicht, um seine Familie in die USA nachzuholen? Doch dazu kam es nicht. Stein stritt – wie schon häufiger zuvor – mit seiner Frau. Der Grund lässt sich nur erahnen. Vermutlich war Eduard wieder einmal rasend vor Eifersucht, wie in einem Zeitungsartikel spekuliert wird.
Seine Ehefrau konnte ihn jedoch zumindest vorübergehend beruhigen – in einem “Sühnetermin” versöhnte man sich. Kein Grund jedoch für den Müller, nicht doch noch mit dem Ziel seiner Eifersucht, dem Mühl-Pächter Voigt, abzurechnen. In Eisenach und in Gerstungen deckte er sich mit Waffen ein: einer doppelläufigen Schrotflinte und einem Revolver.
Es war ein Samstagmorgen im April, als Eduard Stein sich zunächst Mut antrank. Dann ging er mit den beiden neu erworbenen Schusswaffen und in einem Messer zur Mühle nahe der Werra. In der so genannten Hofraithe, einem Nebengebäude, traf Eduard Stein auf den Mühlpächter Christian Voigt.
Wie schon zuvor stritten die beiden Männer. Doch diesmal eskalierte die Auseinandersetzung, Eduard Stein zückte die doppelläufige Schrotflinte und schoß auf seinen Gegenüber. In dem Moment stürzte der Sohn des Christian Voigt in die Hofraithe, schlug den Gewehrlauf beseite. Ein zweiter Schuß krachte, verfehlte aber sein Ziel. Stein flüchtete.
Christian Voigt wurde schwer an Unterkiefer, Brust und der linken Schulter verletzt, der Gerstunger Amtsphysikus Dr. Stegmann eilte ihm zur Hilfe, verband seine Wunden.
Eduard Stein suchte derweil seine Ehefrau Anna Elisabeth. Er fand sie, schoss abermals und verwundete sie. Anna Elisabeth flüchtete zu einem Nachbarhaus, dem Haus des Arbeiters Margraf. Ob sie das Gebäude noch erreichte, ist unklar – eine Zeitung beschreibt, dass der Müller Stein seine Frau auf der Straße vor dem Haus einholte, eine andere Zeitung verlegt das nun folgende Geschehen ins Haus der Margrafs.
Eduard Stein stürzte sich mit dem Messer auf seine Ehefrau, stach sie in die linke Brust und die linke Schläfe, feuerte schließlich noch einen Schuss auf sie ab. Als Dr. Stegmann der Frau zur Hilfe kam, war sie bereits tot. Eduard Stein hingegen war geflüchtet.
Plötzlich krachte wieder ein Schuss, diesmal aus “dem oberen Zimmer der Steinschen Mühle”. Der Mörder hatte sich mit dem Revolver selbst eine Kugel in den Kopf geschossen. Doch er lebte noch, wenn auch schwer verletzt, als der Arzt ihn fand.
Erste Ermittlungen wurden eingeleitet, zuständig waren der Erste Staatsanwalt Dr. Mittenzwey und der Untersuchungsrichter Landrichter Kuhn. Während Eduard Stein ins Landeskrankenhaus nach Eisenach gebracht wurde, ordneten die Ermittler das Sezieren der Leiche von Anna Elisabeth an,
Die Untersuchung ergab, dass Anna Elisabeth Stein, geborene Lingemann, von ihrem Mann mit „sieben Messerstichen in Brust und Hals und einen Schuss in die Schläfe” ums Leben gebracht worden war.
Über Eduard Stein wird aus dem Krankenhaus in Eisenach berichtet, dass er zunächst kein Zeichen der Reue zeigte. Später fragte er in „ruhigeren Augenblicken” nach seiner Frau und äußerte Sehnsucht nach dem Menschen, den er selbst getötet hatte.
Eduard Stein lebte nach seinen Selbstmordversuch noch einen Monat und drei Tage. In der Nacht vom 13. auf den 14. Mai 1886 starb er im Eisenacher Landeskrankenhaus an der schweren Kopfverletzung, die er sich selbst beigebracht hatte.
Fast alle seine noch in Gerstungen verbliebenen Kinder verließen noch im selben Jahr den Schauplatz des Verbrechens und wanderten in die USA aus. Einige ihrer Nachfahren, mit denen ich in Kontakt bin, wussten zwar von einem „dunklen Familiengeheimnis“, erfuhren die ganze Geschichte aber erst vor wenigen Jahren bei einem Besuch in Deutschland.
Der Müller Voigt überlebte den Mordanschlag übrigens und die ehemals Steinsche Mühle in Gerstungen soll bis heute im Besitz seiner Nachfahren sein.
Sven, I am able to read some German but not the hard stuff!!!! Is there a way I can translate these pages????