Wie der Herzog den Steins ihre Mühle nehmen wollte

Es gibt einige haarsträubende Familiengeschichten, die ich im Laufe meiner Ahnenforschung entdeckt habe – doch was der Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach mit meinem 6xUrgroßvater abgezogen hat, macht noch heute wütend. Es ist eine Paradebeispiel fürstlicher Willkür und Selbstherrlichkeit.

Bei meinem Besuch im Haupstaatsarchiv in Weimar1Alle folgenden Abbildungen der Unterlagen mit freundlicher Genehmigung des Landesarchivs Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar (LATh – HStA Weimar). hatte ich viele Akten entdeckt, die sich mit der Herrnmühle in Gerstungen beschäftigen, angefangen bei dem Kaufvertrag, den mein 8xUrgroßvater Stephan Stein (1642-1709) im Jahr 1701 mit Herzog Johann Wilhelm (1666-1729) von Sachsen-Eisenach geschlossen hatte.

Ein paar Jahre darauf, im April 1708, verkaufte Stephan Stein die Mühle an seinen Sohn Johannes (1672-1725). Der gab den Betrieb später weiter an seinen Sohn Johann Nicolaus (1716-1776) – die Hauptperson in dieser Geschichte.

Die Akte über die „Einziehung der Steinschen Mühle“ umfasst fast 30 Seiten2Acta Die vom Serenissimo anbefohlne Einziehung der Steinschen Mühle zu Gerstungen betreffend 1741/2. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Herrschaftliche Güter, Nr. 634, Bl. 1

Was war passiert? Alles beginnt im August 1741, als ein Schreiben des damaligen Herzogs Ernst August (1688-1748) bei der fürstlichen Verwaltung in Eisenach eingeht. Darin erklärt der Herzog, dass er davon erfahren habe, dass das fürstliche Haus zu Eisenach die Mühle „vor einigen Jahren“3Acta Die vom Serenissimo anbefohlne Einziehung der Steinschen Mühle zu Gerstungen betreffend 1741/2. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Herrschaftliche Güter, Nr. 634, Bl. 2 verkauft habe. Richtiger wäre wohl gewesen: „vor etlichen Jahren“ – denn der Verkauf lag zu diesem Zeitpunkt bereits fast 40 Jahre zurück!

Der Herzog aber, der bei Abschluss des Kaufvertrags gerade mal 13 Jahre alt war, beklagt nun, dass dieses Geschäft ohne seine Einwilligung geschehen sei. Daher behauptet er nun gegenüber seiner Verwaltung, dass „folglich Wir solche [Mühle] wieder an Uns zu ziehen allen Recht nach befugt sind“.4Acta Die vom Serenissimo anbefohlne Einziehung der Steinschen Mühle zu Gerstungen betreffend 1741/2. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Herrschaftliche Güter, Nr. 634, Bl. 2 Der Herzog will den Steins ihre Mühle weggnehmen!

Mit Schreiben vom 26. August 1741 verlangt der Herzog die Einziehung der Mühle5Acta Die vom Serenissimo anbefohlne Einziehung der Steinschen Mühle zu Gerstungen betreffend 1741/2. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Ämter u. Städte, Nr. 634, Bl. 2

Im Weiteren verlangt der Herzog, dass seine Beamten „dem iezigen Besitzer derselben [Mühle] unverzüglich auferlegen, besagte Mühle innerhalb 4. Wochen zu räumen, oder in Verbleibung deßen der unnachläßlichen exmission zu gewärtigen“.6Acta Die vom Serenissimo anbefohlne Einziehung der Steinschen Mühle zu Gerstungen betreffend 1741/2. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Herrschaftliche Güter, Nr. 634, Bl. 2 Johann Nicolaus Stein sollen also vier Wochen Zeit bleiben, bis er aus seiner eigenen Mühle hinausgeworfen wird.

Wer ist dieser Herzog Ernst August, der auf die Steinsche Mühle scharf ist? Er ist ein maßloser Machthaber, der sein Land in den Ruin treibt. Ab 1707 ist er zunächst Mitherrscher, ab 1728 dann alleiniger Herrscher des Herzogtums Sachsen-Weimar. Er gibt mehr Geld für Militär und Bauwerke aus, als er einnimmt.7Carl von Beaulieu-Marconnay: Ernst August I., Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach. In: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6, Leipzig 1877, S. 317–318 Es heißt, dass er ehemalige Vertraute ohne Grund inhaftieren ließ und diese erst freikamen, nachdem sie ihr Vermögen an den Herzog überschrieben hatten.

Warum aber konnte Ernst August seine Hand nach der Mühle ausstrecken – die doch in Gerstungen steht, das zum Herzogtum Sachsen-Eisenach gehörte? Es hängt mit der verwirrenden Verflechtung der Fürstenhäuser und Territorien in Thüringen zusammen. Ab 1729 herrschte in Sachsen-Eisenach Herzog Wilhelm Heinrich (1691-1741). Er ist der Sohn von Johann Wilhelm (1666-1729), jenem Herzog, der meinem Vorfahren Stephan Stein im Jahr 1701 die Mühle verkauft hatte.

Die Rentkammer in Eisenach berichtet dem Fürsten, dass der Müller Stein 130 Taler Pacht zu zahlen bereit ist8Acta Die vom Serenissimo anbefohlne Einziehung der Steinschen Mühle zu Gerstungen betreffend 1741/2. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Herrschaftliche Güter, Nr. 634, Bl. 5

Wilhelm Heinrich war zwar zweimal verheiratet, doch beide Ehen blieben kinderlos. Als er am 26. Juli 1741 in Eisenach verstirbt, stirbt mit ihm auch das Geschlecht der Herzöge von Sachsen-Eisenach aus. Das Fürstentum fällt als Erbschaft an Sachsen-Weimar – und somit an den raffgierigen, verschwenderischen Ernst August.

Der neue Herzog scheint nichts Eiligeres zu tun zu haben, als aus seinem neuen Besitz den maximalen finanziellen Ertrag herauszuholen. Seit dem Tod seines Vorgängers Herzog Wilhelm Heinrich sind gerade mal vier Wochen vergangen, als der Inhalt des Rauswurf-Schreibens via Eisenach beim zuständigen Amtmann in Gerstungen eingeht9Acta Die vom Serenissimo anbefohlne Einziehung der Steinschen Mühle zu Gerstungen betreffend 1741/2. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Herrschaftliche Güter, Nr. 634, Bl. 3

„Durchlauchtigster Herzog“ … – der Müller Stein schreibt dem Fürsten im September 1741, dass er am Bettelstab enden wird, wenn er die Mühle räumen muss10Acta Die vom Serenissimo anbefohlne Einziehung der Steinschen Mühle zu Gerstungen betreffend 1741/2. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Herrschaftliche Güter, Nr. 634, Bl. 5

Wie ging es weiter? Ende September 1741 geht ein Schreiben bei der Verwaltung in Eisenach ein, dass „der Müller Johann Niclas Stein zu Gerstungen Ansuchung gethan, ihm die dasige Herrschaftliche Mühle zu verpachten“11Acta Die vom Serenissimo anbefohlne Einziehung der Steinschen Mühle zu Gerstungen betreffend 1741/2. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Herrschaftliche Güter, Nr. 634, Bl. 5. Er biete an, als Pacht jährlich 130 Reichstaler zu bezahlen, worauf sich im Laufe des Oktober 1741 ein regelrechtes Wettbieten mit einem weiteren Müller um die Pacht der Mühle entwickelte12vgl. Acta Die Verpachtung der Steinschen Mühle zu Gerstungen betrl. 1741. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Ämter und Städte Nr. 1509. Gleichzeitig wehrte sich der Müller Stein gegen den Rauswurf!

In einem Schreiben, datiert auf den 21. September 1741, fasst Johann Nicolaus Stein seine Argumente gegen den Rausschmiss aus der Mühle zusammen. Der Betrieb sei „mit der qualität eines Erblehn Guths ursprünglich ausgegeben“ und „durch öffentlichen Glockenschlag zum Verkauff ausgebothen“ worden.13Acta Die vom Serenissimo anbefohlne Einziehung der Steinschen Mühle zu Gerstungen betreffend 1741/2. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Herrschaftliche Güter, Nr. 634, Bl. 11 Zum Zeitpunkt des Verkaufs sei die Mühle sehr baufällig gewesen, und wenn sich der Herzog die alten Pacht-Rechnungen ansehen würde, dürfte er feststellen, dass die damaligen massiven Reparaturkosten „mehr schädlich alß nützlich gewesen“ sind.14Acta Die vom Serenissimo anbefohlne Einziehung der Steinschen Mühle zu Gerstungen betreffend 1741/2. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Herrschaftliche Güter, Nr. 634, Bl. 11 Die Renovierung des Gebäudes hatte die Familie Stein nach dem Kauf der Mühle übernommen.

Unterschrift meines 6xUrgroßvaters Johann Nicolaus Stein am 21. September 174115Acta Die vom Serenissimo anbefohlne Einziehung der Steinschen Mühle zu Gerstungen betreffend 1741/2. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Herrschaftliche Güter, Nr. 634, Bl. 13

Gleichzeitig fürchtet der Müller, dass er, wenn er die Mühle „mit dem Rücken ansehen“ müsse, „gleichsam den bettelstab ergreiffen“ werde. Im Klartext: Wenn er die Mühle verlassen muss, ist er ruiniert. Deshalb möge doch der Herzog „Gnade vor Recht ergehen“ lassen und den Rauswurf zurücknehmen.16Acta Die vom Serenissimo anbefohlne Einziehung der Steinschen Mühle zu Gerstungen betreffend 1741/2. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Herrschaftliche Güter, Nr. 634, Bl. 13

Die Antwort des Herzogs am 23. September 1741 ist knapp, aber klar, „daß man den Supplicanten als zeit herigen Besitzer der questionierten Mühle der Umstände halber bedauert, iedoch hat die Fürstl. Comission zu Eißenach dem ergangenen Rescript gemäs fort zu fahren“.17Acta Die vom Serenissimo anbefohlne Einziehung der Steinschen Mühle zu Gerstungen betreffend 1741/2. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Herrschaftliche Güter, Nr. 634, Bl. 14 Der Müller Stein soll also weiterhin die Herrnmühle räumen.

Im Juli 1742 schreibt Johann Niclas Stein noch einmal an den Herzog18Acta Die vom Serenissimo anbefohlne Einziehung der Steinschen Mühle zu Gerstungen betreffend 1741/2. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Herrschaftliche Güter, Nr. 634, Bl. 26

Es ist unklar, was in den kommenden Monaten in Gerstungen geschieht, denn die nächsten Akten stammen erst aus dem Sommer des Jahres 1742. Wieder ist es der Müller Johann Nicolaus Stein, der am 26. Juli ausführlich an die „Hohe Landes-Commisson“ schreibt. Nun zieht er alle Register.

Sein Vater Johannes Stein habe die Mühle in Gerstungen am 27. November 1701 gekauft, für 1260 Reichstaler. Anschließend habe er „ein neues Hauß, Wehr und noch vieles anderes Bauen“ lassen.19Acta Die vom Serenissimo anbefohlne Einziehung der Steinschen Mühle zu Gerstungen betreffend 1741/2. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Herrschaftliche Güter, Nr. 634, Bl. 18 Er selbst, Johann Nicolaus, habe nach dem Tod des Vaters seine Miterben – er hatte neun Geschwister! – mit 2800 Reichstalern ausbezahlt. Seine Mutter erhalte von ihm 600 Reichstaler Leibrente, und seine aus Hessen gebürtige Ehefrau habe wenigstens 1600 Reichstaler in den Betrieb eingebracht.

Die Rechnung des Müllers kommt auf 2200 Reichstaler, die er vom Herzog verlangt20Acta Die vom Serenissimo anbefohlne Einziehung der Steinschen Mühle zu Gerstungen betreffend 1741/2. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Herrschaftliche Güter, Nr. 634, Bl. 27

Sollte er, der Müller Stein, nun die Mühle als Besitz aufgeben und als Pächter weiter betreiben müssen, wolle er aber sein „geld bekommen“. Das Schreiben schließt er daher mit einer Liste der Kosten, die er verlangt:

1.) Das Hauß zu bauen 1200 Rthlr
2.) grund Bauen auch fach zu legen 200 rl
3.) die Lohmühle zu baun 200 rl
4.) das gewind zu machen 100 rl
5.) das Mühlen Wehr zu bauen 200 rl
6.) Stall und Scheuern zu bauen und den Hoff zu verbeßern und eine Maurn darum zu führn. 300 rl
S[umme]. 2200 rl
21Acta Die vom Serenissimo anbefohlne Einziehung der Steinschen Mühle zu Gerstungen betreffend 1741/2. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Herrschaftliche Güter, Nr. 634, Bl. 27

2200 Reichstaler verlangt also mein 6xUrgroßvater von dem raffgierigen Herzog, wenn der die Mühle zurück haben will. Die Reaktion des Fürsten ist bemerkenswert – es gibt keine! Die Akte ist mit dem Schreiben des Müllers Stein geschlossen. Die Mühle blieb weitere 144 Jahre im Besitz der Familie.


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