Mehr als ein Jahr hat es gedauert, bis ich die Lastenausgleichsakte meines Großvaters Gustav Bubritzki erhalten habe, die vom Bundesarchiv in Bayreuth aufbewahrt wird. Länger hatte ich noch nie auf eine angefragte Akte gewartet, doch die Geduld hat sich gelohnt. Die insgesamt mehr als 120 Seiten umfassenden Unterlagen geben unter anderem einen Eindruck davon, wie meine Großeltern in ihrer ostpreußischen Heimat Treuburg gelebt haben.
Was ist der Lastenausgleich? Der Lastenausgleich war 1952 per Gesetz eingeführt worden, um Menschen zu helfen, die durch Flucht und Vertreibung während und nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Besitz verloren hatten. Die Betroffenen sollten eine finanzielle Unterstützung erhalten, und gleichzeitig sollte der Lastenausgleich den sozialen Zusammenhalt stärken und die Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen fördern.1vgl. Kühnel, Karsten: Das Lastenausgleichsarchiv und seine Bestände. Online abrufbar. Mein Großvater Gustav Bubritzki stellte im Oktober 1952 beim Ausgleichsamt Bremen einen entsprechenden Antrag, in dem er – in doppelter Ausfertigung – insbesondere seinen Immobilienbesitz in Treuburg beschrieb. Nach jahrelanger Prüfung und Befragung von Zeugen erhielt er 1956 einen Bescheid des Ausgleichsamtes, der 1960 nach einer Neuberechnung des Immobilienwerts nochmals geändert wurde.
Das Haus, in dem meine Großeltern lebten, stand in der Mühlenstraße 18 in Treuburg. Aus den Lastenausgleichsakten erfährt man, dass mein Großvater es 1935 von einer Erbengemeinschaft der Familie Pest, vertreten durch „Herrn Bankdir[ektor] Carl Pest“, gekauft hatte. Die von ihm und seiner Familie bewohnte Wohnung lag im Erdgeschoß des Vorderhauses und umfasste vier Zimmer und eine Küche.
In seinem Antrag beschreibt mein Großvater das Gebäude als Sechsfamilienhaus, das in massiver Bauweise errichtet worden war und ein Pfannendach hatte. Die Vorderfront des Gebäudes hatte nach seinen Angaben eine Länge von 14 Metern. Im Erdgeschoß befanden sich zwölf Fenster, im ersten Obergeschoß acht Fenster. Das Haus hatte Kanalisation, außerdem Wasser-, Elektrizitäts- und Gasanschluss und war zur Hälfte unterkellert. Baujahr und Größe des Hauses waren ihm nicht bekannt. Laut einer Zeugenaussage war das Haus in gutem Zustand.
Neben den eigenen Räumen der Großeltern befanden sich im Erdgeschoß zwei weitere Wohnungen mit jeweils einem Zimmer und einer Wohnkammer, die vermietet wurden. Im Dachgeschoß lagen drei weitere Mietwohnungen, ebenfalls bestehend aus einem Zimmer und einer Wohnkammer. Eine der Erdgeschoßwohnungen brachte jährlich 216 Reichsmark Miete ein, die übrigen Wohnungen jeweils 144 Reichsmark. Das entspricht umgerechnet ungefähr der Kaufkraft von 970 beziehungsweise 650 Euro (Stand: Januar 2024).2vgl. Kaufkraftäquivalente historischer Beträge in deutschen Währungen der Deutschen Bundesbank. Online abrufbar.
Meine Großeltern vermieteten aber nicht nur mehrere Wohnungen, sondern hatten auch einen landwirtschaftlichen Nebenbetrieb. Dazu gehörte ein massives Gebäude mit Pfannendach, das als Stall und Scheune genutzt wurde. Ein knapp 1,4 Hektar großes Stück Land wurde laut Zeugenaussage einer Nachbarin als Acker genutzt.
Schließlich nennt der Antrag meines Großvaters auch den Tag, an dem seine Familie geflüchtet war: der 31. Juli 1944. Der Wert des verlorenen Hauses mit Stall und Acker wurden 1956 im Rahmen des Lastenausgleiches zunächst mit 7950 Reichsmark – umgerechnet knapp 36.000 Euro – festgelegt, in einem korrigierten Bescheid von 1960 kam die Kalkulation auf einen Wert von 9642 Reichsmark, umgerechnet rund 43.500 Euro.
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