Der Mühl-Kauf der Steins ging dem Amtmann an die Kirschen

Sechs Monate waren vergangen, seitdem Stephan Stein (1642-1709) im November 1701 die Herrnmühle in Gerstungen gekauft hatte, als dem Amtmann des Ortes klar wurde, welche Folgen dieses Geschäft auch für ihn persönlich hatte – eine wahre Obstkrise.

Daniel Götzel, so der Name des damaligen Amtmanns zu Gerstungen, schrieb am 20. Mai 1702 einen Brief an die Fürstliche Rentkammer in Eisenach. Dieses Schreiben fand ich 314 Jahre später im Hauptstaatsarchiv Weimar1Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung des Landesarchivs Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar (LATh – HStA Weimar)., zusammen mit der Antwort der Rentkammer vom 2. Juni 1702.

„Unterthänig Memoriale“ – so beginnt das Schreiben des Amtmanns2Acta,
Die ersetzung der durch verkaufung der mühle und daran gelegenen wehrts zu Gerstungen abgegangenen fütterung vor das Forwergs vieh, auch aqvivalent, so der Ambtmann vor das drauf gewachsene obst erhalten, betrl. 1702. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Herrschaftl. Güter, Nr. 631, Bl.2

Worum genau also sorgte sich Götzel? Er fragt zunächst, ob der „Hochfürstl. Cammer bekant“ sei, dass durch den Verkauf der Herrnmühle „ohngefehr an die 2 1/2 är.“ (knapp 1,4 Hektar) Weideland weggefallen waren, auf dem bislang das Vieh des Gerstunger Vorwerks gegrast hatte. Diese Fläche müsse dringend ersetzt werden, damit „das Vieh nicht Mangel leiden“ muss.

Mindestens ebenso wichtig und in gleicher Ausführlichkeit dargelegt ist dann jenes Problem, das den Amtmann persönlich betrifft: Durch den Verkauf des Mühl-Geländes erhalte er, Götzel, auch das dort „jährlich erwachsene Obst“ nicht mehr als „Stück seiner Besoldung“. Laut der Amtsbeschreibung, die Götzel im Jahr 1700 angefertigt hatte, handelte es sich um die Ernte von „wenigen Kirschbäumen“3Gerstunger Amts Beschreibung Auf ergangenen Fürstl. gn: Befehl. gefertigt a[nn]o: 1700. Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena. A. Cap. I No.22b. S.65. Es ging dem Amtmann also buchstäblich an die Kirschen!

Das Obst vom Mühl-Wehrt war „ein Stück seiner Besoldung“, schreibt der Amtmann4Acta,
Die ersetzung der durch verkaufung der mühle und daran gelegenen wehrts zu Gerstungen abgegangenen fütterung vor das Forwergs vieh, auch aqvivalent, so der Ambtmann vor das drauf gewachsene obst erhalten, betrl. 1702. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Herrschaftl. Güter, Nr. 631, Bl.3

Als Ausgleich bittet der Beamte darum, „ein paar Stück gölde Vieh“5Nicht trächtige Kühe, vgl. Gottfried August Hoffmanns: Klugheit Haußzuhalten, Oder: Prudentia Oeconomica in formam artis. Dresden und Leipzig 1732, S. 135f. kostenlos in die Obhut des fürstlichen Vorwerks geben zu dürfen. Das wäre „zu beßerer Unterhaltung des Haußhalts wieder eine Beyhülffe“, schreibt er.

„Unterthänig-gehorsamer D. Götzel“ – die Unterschrift des Amtmanns6Acta,
Die ersetzung der durch verkaufung der mühle und daran gelegenen wehrts zu Gerstungen abgegangenen fütterung vor das Forwergs vieh, auch aqvivalent, so der Ambtmann vor das drauf gewachsene obst erhalten, betrl. 1702. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Herrschaftl. Güter, Nr. 631, Bl.4

Knapp 14 Tage später kommt die Antwort der Rentkammer in Eisenach. Der Amtmann wird zunächst angewiesen, ein Stück Weideland als Ersatz für die verkaufte Wiese an der Mühle abzumessen. Vor allem aber, und das dürfte Götzel gefreut haben, gestattete ihm die fürstliche Verwaltung „2 stück gölde vieh“ vom Vorwerk betreuen zu lassen, ohne dass er dafür bezahlen müsse. Das sei als Äquivalent des „zugewiesen gehabten obsts“ zu verstehen. Ganz so, wie Götzel es erbeten hatte.

Antwort der Rentkammer: „… 2 stück gölde vieh …“ darf der Amtmann kostenlos weiden lassen7Acta,
Die ersetzung der durch verkaufung der mühle und daran gelegenen wehrts zu Gerstungen abgegangenen fütterung vor das Forwergs vieh, auch aqvivalent, so der Ambtmann vor das drauf gewachsene obst erhalten, betrl. 1702. LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Herrschaftl. Güter, Nr. 631, Bl.6

Den kompletten Wortlaut der Akten8Acta, Die ersetzung der durch verkaufung der mühle und daran gelegenen wehrts zu Gerstungen abgegangenen fütterung vor das Forwergs vieh, auch aqvivalent, so der Ambtmann vor das drauf gewachsene obst erhalten, betrl. 1702, LATh – HStA Weimar, Eisenacher Archiv, Herrschaftl. Güter, Nr. 633, Bl.1-6 über die Obst-Krise des Amtmanns Götzel dokumentiere ich im Folgenden.


Acta,
Die ersetzung der durch ver=
kaufung der mühle und daran
gelegenen wehrts zu Gerstungen abgegangenen
fütterung vor das Forwergs 
vieh, auch aqvivalent, so der
Ambtmann vor das drauf ge=
wachsene obst erhalten, betrl.
1702

Unterthänig Memori 
ale 
1. Ist der Hochfürstl. Cammer
bekant, daß bey Verkauffung 
der hiesigen Herrschl. Mühlen
und dabey befindlichen Wehrts
dem hiesigen Herrschaftl.en
Forwergs= Vieh ohngefehr an die
2 1/2 är. Gräßerey abgangen, 
welche ohnümbgänglich wieder
ersetzet werden müßen, soll
anders das Vieh nicht Mangel
leiden. Ich stelle dahero 
zu hohen Bedenken, ob nicht sol=
cher Abgang, so viel es nach 
der eigentlichen Meßung aus=
tragen möchte, von der Wiesen
im sogenannten Großenroth
so in 42 är. bestehet, das
Heu vor den Fürstl. Marstall 
kommt, und dießer wenige
Abgang an solchen großen 
Stück nicht empfindlich, er=
setzet werden könnt;

2. Hat das auff obbesagten Mühl=
Wehrt jährlich erwachsene Obst
iedesmaligen Beamter alß ein
Stück seiner Besoldung zugenießen
gehabt, welches solchergestalt
mit dem ietzigen Beamten 
abgehet, hoffe demnach es werde 
bey Hochfürstl. gdstr. Herrschafft 
die Hochfürstl. Cammer durch
gütigen Vortrag soviel coope=
riren, daß mir etwa vor sol=
chen Abgang ein billiges agviva=
lent geordert und ohnmaßgeblich
ein paar Stück gölde Vieh so
ich zu Versorgung des Haußhalts
ohnumgänglich erziehen und sonst
vor Geld austhun muß, über
mein deputat mit in hießige
Forwergs=Huth geben zu laßen, 
vergönnet werden möge, als
welches Gdstr. Herrschl. inter=
esse gar nichts hindert,
mir aber zu beßerer Unter=
haltung des Haußhalts wieder
eine Beyhülffe were. 

3. Sind bey hießigem Fohr=
werg etwa 6. Kalben, welche
mit auff die Röhnweide
kommen könten, dahero ümb 
HochFürstl. Cammer Verord=
nung in solchen und 
puncten gehorsamst gebethen 
wird. Gerstungen am 20.
May: 1702.
Hochfürstl. Hochlöbl. Renth=
Cammer 
unterthänig-
gehorßamer
D. Götzel 

Resolutiones auf
des Ambtmanns zu
Gerstungen, Daniel Gö=
zels memorial vom
20 May.
1) Zur ersezung des
futters vor das for=
wergs vieh + [Einschub] + zu Gerstungen [/Einschub], so dass durch
verkaufung der herr=
schafftl. mühle und des zu=
gehorigen Werths ab=
gegangen, hat der Ambts=
mann daselbst so viel
von dene wiesen im 
so genannten große,
roth F [Einschub] F iedoch ein mehres nicht
als so hoch der abgang 
sich betraget [/Einschub] abmaßen und
dem Pachter die grä=
serey abfolgen zu laßn,
2) Dahern dem Herr=
schafftl. Forwergs vieh 
an nothwendiger weide 
nichts enzogen wird, 

läßet die F. Cammer 
geschehen, daß dem
Ambtmann 2 stück 
gölde vieh über das
vorhin verordnete
Doputat zum aqvi=
valent des uf gedachter 
mühlen werth zugewie=
sen gehabten obsts auf
der Weide frey gehen
mögen.
3) So bald der von dem 
Ambtschreiber zu Kal=
ten Northeim begehrte 
bericht wegen fort=
treibung des For=
wergs Viehes zur Röhn=
weide ein läufft, soll 
deßhalber dem Ambt 
Gerstungen eröfnung
wird erfahren. 
Signatum Eisenach
den 2. Juny 1702

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