Das Wappen der Familie Kochendörffer

Viele Ahnenforscher träumen davon, einen adeligen Vorfahren zu entdecken oder wenigstens ein bislang unbekanntes Familienwappen aufzuspüren. In meiner Familie war bereits ein Wappen bekannt. Doch als ich begann, seine Herkunft zu recherchieren, kam es zu mehreren unerwarteten Wendungen.

Alles begann mit einer Taschenuhr, die mein Vater von seinem Großvater – also meinem Urgroßvater – mütterlicherseits geerbt hat. Urgroßvater Heinrich Kochendörffer (1875-1950) war Uhrmachermeister in Kassel gewesen. Da war es wohl naheliegend, eine Taschenuhr mit dem Wappen der eigenen Familie anzufertigen. Laut der Familienüberlieferung war es das Wappen der Kochendörffers, das auf den Rücken der Uhr graviert wurde.

Das Wappen auf der Taschenuhr von Urgroßvater Kochendörrfer

Aber wer hatte dieses Wappen gestiftet? Was ist darauf abgebildet? Das wollte ich herausfinden, auch wenn mir klar war, dass ich das Wappen nicht selber würde nutzen dürfen. Schließlich stamme ich nicht in direkter männlicher Linie von den Kochendörffers ab. Ich recherchierte und bat auch bei Vereinen, in Facebook-Gruppen und schließlich im Forum „Heraldik im Netz“ um Hilfe. Auf der letztgenannten Plattform erfuhr ich, dass das Wappen nicht im Hessischen Wappenbuch erfasst ist, aber ich erhielt den Hinweis, dass es zu einem Kochendörffer-Wappen noch Akten im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt gibt.

Ich ließ mir vom Staatsarchiv Kopien dieser Akten1HStAD, O 64, 3334 Materialsammlung Wappen Kochendörfer; HStAD, O 61 Massoth Nr. 27, Kochendörffer (Heldenbergen), Korrespondenz, Skizze, Beschreibung des Wappens anfertigen und stellte fest, dass darin die Korrespondenz meines Großonkels 5. Grades, Fritz Kochendörffer, mit zwei Heraldikern überliefert ist. In dem Schriftverkehr von Mitte der 1940er- bis Anfang der 1950er-Jahre ging es zunächst darum, die Herkunft des Wappens anhand einer Skizze festzustellen, um es anschließend nachzeichnen zu lassen. Aus den Unterlagen geht hervor, dass das Wappen wohl schon längere Zeit in der Familie Kochendörffer geführt worden war. Und hier kam die erste Überraschung: Ein Göttinger Heraldiker, der von Fritz Kochendörffer mit Recherchen beauftragt worden war, entlarvte das Kochendörffer-Wappen in einem Schreiben von 1946 als Fälschung. Auch wenn ein paar minimale Änderungen vorgenommen worden waren, so hat er es doch eindeutig als das Wappen der österreichischen Familie von Oberndorffer identifizieren können.

Wappen der von Oberndorffer 2aus: Alter Siebmacher, 3. Teil, Tafel 63 [zitiert nach Wappebuch.com]

Damit war klar: Das Wappen auf der Taschenuhr meines Urgroßvaters war kein Wappen aus der Familie Kochendörffer. Doch der entfernte Großonkel Fritz Kochendörffer ließ das nicht auf sich sitzen und antwortete dem Heraldiker knapp zwei Jahre später, er teile die Zweifel an der Echtheit des Wappens, aber er habe durch eigene Forschungen schon vor dem Zweiten Weltkrieg das echte Wappen der Familie gefunden. Das habe Mitte des 17. Jahrhunderts ein direkter Vorfahr verliehen bekommen. Die Informationen, die er dazu aus dem Darmstädter Archiv erhalten habe, seien aber bei Luftangriffen auf Kassel verbrannt. Warum Fritz Kochendörffer dem Heraldiker dann 1946 zunächst das gefälschte Wappen geschickt hatte, bleibt unklar – hatte er einen Verdacht und wollte ihn bestätigt haben?

Und was hat es nun mit dem angeblich echten Wappen auf sich? 1950 beauftragte Fritz Kochendörffer einen weiteren Heraldiker damit, ein neues Wappenbild anzufertigen. Er schreibt ihm, dass die Familie bereits einmal durch ein Wappen dunkler Herkunft getäuscht worden sei – eben jenes auf der Taschenuhr – und er deshalb Informationen zum Ursprung dieses Wappens auf der Rückseite niedergeschrieben haben möchte. Diese Angaben sollten dort stehen:

Wappen des Grefen Georg Kochendörfer
zu Heldenbergen/Hessen
Unterlagen: Staatsarchiv Darmstadt,
Archiv des Klosters Ilbenstadt.
Convolut 97, Faszikel 1: Revers v. 2.2.1589
Convolut 90, Faszikel 2: Revers v. 22.2.1590
Aufgefunden durch die Forschungsarbeiten von
Fritz Kochendörffer
Uhrmachermeister zu Kassel
*6.XI.1912

Das Wappen, das Fritz Kochendörffer nun malen ließ, sei 1938 durch Auszüge aus dem Darmstädter Archiv belegt worden, und zwar anhand von Unterlagen aus den Jahren 1589 und 1590. Seine Forschungsunterlagen seine zwar zerstört worden, doch habe die Ortshistorikerin Dr. Luise Pickert aus Kaichen die Gestaltung des Wappens im Jahr 1948 noch einmal bestätigt und die Hessische familiengeschichtliche Vereinigung in Jugenheim die Richtigkeit beurkundet. Demnach zeige das Wappen im Schild zwei schwarze gekreuzte Kochlöffel in Silber, der Helm zwei schwarze gekreuzte Kochlöffel und die Decken seien schwarz-silber.

Das angebliche Wappen der Kochendörffers

Also endlich alles geklärt mit dem Wappen der Kochendörffers? Leider nicht. Denn bislang ließ sich die Quellenangabe von Fritz Kochendörffer aus dem Staatsarchiv Darmstadt nicht nachvollziehen. Einer der genannten Bestände hat laut Auskunft des Archivs einen Moderschaden und ist derzeit nicht benutzbar, der andere Bestand enthält gar keine Akten aus dem fraglichen Zeitraum um 1590. Unklar bleibt auch, warum das Wappen noch einmal von Dritten bestätigt werden musste, wenn es sich doch aus Akten des Staatsarchivs herleiten ließ.

Vielleicht, weil es eben doch nicht in den Akten zu finden ist? Das Staatsarchiv Darmstadt verwahrt tatsächlich eine Urkunde von 1589, die Georg Kochendörfer, Grefe in Heldenbergen, geschrieben hat. Und dieses Schreiben3HStAD Bestand B 7 Nr. 140, Schultheiß Georg Kochendörffer zu Heldenbergen ist auch mit einem Siegel versehen – aber das zeigt keine gekreuzten Kochlöffel, wie das angebliche Wappen der Kochendörffers. Es handelt sich vielmehr um das Wappen der adligen Familie von Cronberg. Warum hat der Grefe nicht sein eigenes Wappen zum Siegeln genutzt, wenn er denn eines hatte?

Wappen der Familie von Cronberg unter dem Schreiben des Grefen Georg Kochendörfer von 1589

Schließlich bleibt offen, ob Georg Kochendörfer aus Heldenbergen überhaupt ein direkter Vorfahre der Kasseler Kochendörffer-Familie war. Auch dafür gibt es bislang keinen Beleg. Sollte sich Neues in dieser Recherche ergeben, werde ich meinen Blog-Eintrag entsprechend ergänzen.

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