Geschichte von Oberellen, bis die Steins auftauchten

Die Häuser von Oberellen drängen sich zwischen die grünen Hügel des Eltetals wie eine Herde schutzsuchender Tiere. Steht man auf einer der Anhöhen oberhalb des Ortes, blickt man auf ihre Dächer, über die der Kirchturm ragt. Während die Sonne im Westen hinter den Hügeln verschwindet, steigt aus den Schornsteinen der Rauch empor. 

Das Wasser des schmalen, flachen Baches Elte fließt schnell von Osten nach Westen durch das Dorf, knickt dann nach Norden ab, um einige Kilometer weiter in Lauchröden in die Werra zu münden.

Blick auf Oberellen

Im Ortskern von Oberellen steht eine alte Kirche, in deren Fassade ein Stein die Jahreszahl 1564 trägt. Doch der Kirchenstandort ist deutlich älter.

Im Jahr 1075 erstmals erwähnt, gehörte der Ort im 12. Jahrhundert dem Edlen Christian von Goldbach. Im Jahr 1121 schenkte von Goldbach das Dorf mit samt einer bereits bestehenden Kapelle und allem Zubehör dem Kloster Reinhardsbrunn.1Paul Lehfeldt, Georg Voss: Bau- und Kunst-Denkmäler Thüringens. Heft XXXV. Herzogthum Sachsen-Meiningen. Kreis Meiningen. Amtsgerichtsbezirk Salzungen. Jena 1909. 1. Reprintauflage 2013. S. 97 Das lag rund 40 Kilometer südöstlich von Oberellen und unterstand direkt dem Papst.2Johann Georg August Galletti: Geschichte und Beschreibung des Herzogthums Gotha. Band 3. Gotha 1780. S.205f.

Der Abt des Klosters ließ die Kirche in Oberellen ausbauen. Ein halbkreisförmiger Schmuck über dem Portal stammt aus dieser Zeit. Dieses romanische Tympanon ist heute stark beschädigt, zeigt Jesus Christus auf einem Thron sitzend. Neben ihm verneigen sich vermutlich zwei Heilige, von deren Darstellung jedoch nur noch noch die Torsos und eine Glorie zu erkennen sind. Georg Voss vermutet in seiner Beschreibung der Obereller Kirche von 1909, dass es sich um die heilige Maria und Johannes den Täufer handele.3P. Lehfeldt, G. Voss: Bau- und Kunst-Denkmäler Thüringens. Heft XXXV. Herzogthum Sachsen-Meiningen. Kreis Meiningen. Amtsgerichtsbezirk Salzungen. Jena 1909. 1. Reprintauflage 2013. S. 98

Kirche von Oberellen

Im Laufe der Zeit wuchs die Unzufriedenheit der einfachen Menschen über ihre Abhängigkeit von Adel und Kirche, denen sie Abgaben für überlassenes Ackerland zahlen und zusätzlich Arbeitsdienste leisten mussten. Schon im 13. und 14. Jahrhundert kam es daher immer wieder zu Aufständen von Bauern in der Schweiz, in Flandern und England, im 15. Jahrhundert auch in Böhmen und in Süddeutschland.

Die Welle der Proteste gegen Adel und Kirche erreichte Thüringen in den 1520er Jahren. Hier war nicht nur die Last der Abgaben kontinuierlich gestiegen, auch die Höfe der Bauern waren immer kleiner geworden. Schuld war die sogenannte Realteilung, also das gleichmäßige Zerstückeln von Besitz, um alle Erben eines Verstorbenen zu berücksichtigen. Viele Höfe mit sehr wenig Land ließen sich dadurch nicht mehr wirtschaftlich betreiben, die Menschen lebten oft in Armut. 

Gleichzeitig erklärten Reformatoren wie Martin Luther den einfachen Leuten, dass sie die selben Rechte wie Adel und Kirchenleute besäßen und niemandem Untertan seien. In Thüringen gab es daher ab 1521 erste Angriffe auf Geistliche. Im April 1525 begann im Werratal, rund 50 Kilometer südlich von Oberellen, der Aufstand der thüringischen Bauern, dem sich mehr als 10.000 Mann anschlossen, wohl auch aus Oberellen. Sie stürmten unter anderem Kirchenbesitz, darunter das Kloster Reinhardsbrunn, und zerstörten es. Die Mönche flohen.

Jahreszahl 1564 an der Fassade der Obereller Kirche

Der Bauernaufstand wurde nach wenigen Wochen niedergeschlagen, Kurfürst Johann der Beständige verhängte Bußgelder und Schadensersatz. Oberellen musste 200 Gulden zahlen. Der bisherige Klosterbesitz fiel ebenfalls an den Kurfürsten, ein Propst blieb jedoch in Oberellen zurück.4Carl Philip Emil von Hanstein: Urkundliche Geschichte des Geschlechts der von Hanstein im Eichsfeld in Preußen (Provinz Sachsen) nebst Urkundenbuch und Geschlechts-Tafeln. Erster Theil. Kassel 1856. S.209 

Seine letzte Amtshandlung nahm der Propst am 6. September 1543 vor, als Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen, genannt „der Gr0ßmütige“, den Ort Oberellen für 5000 Gulden an den Hauptmann Curt von Hanstein verkaufte. Der Propst stimmte dem Verkauf vor Zeugen zu.5Carl Philip Emil von Hanstein: Urkundliche Geschichte des Geschlechts der von Hanstein im Eichsfeld in Preußen (Provinz Sachsen) nebst Urkundenbuch und Geschlechts-Tafeln. Erster Theil. Kassel 1856. S.210 Fortan war Oberellen über Jahrhunderte im Besitz der Familie von Hanstein.

Verwitterte Grabsteine an der Außenmauer der Obereller Kirche

Im Kaufbrief von 1543 werden bereits zwei Mühlen erwähnt – zum einen die sogenannte Obermühle, zum anderen die Untermühle. Beide Mühlen sollten später eine Rolle in der Geschichte der Familie Stein spielen, doch zum Zeitpunkt des Verkaufs von Oberellen waren hier noch keine Steins ansässig.

Im Jahr 1579 wird Curtt Herwigk als Erbzins-Pflichtiger der „Ober Mühlen“ geführt6Copiar von Verträgen und Testamenten von Angehörigen der Familie von Hanstein, Landesarchiv Sachsen-Anhalt (LASA), MD, E 75 A II a Nr.1., S. 124; vgl. auch Vertrag zwischen den Gebrüdern Lippold von Hansteins seeligen Söhnen von wegen ihrer Erbteilung. (Abschr. d. 20. Jahrh.), LASA, MD, E 75 A II b Nr.2., S. 115.. Im ältesten erhaltenen Kirchenbuch Oberellens aus dem gleichen Jahr wird in der Liste der Gottesdienst-Teilnehmer Curtts Ehefrau erwähnt: „Elisabetha Herwig Obermüllers uxor“7Kirchenbuch Oberellen 1579-1623, Landeskirchenarchiv Eisenach (LKAE), KBF, K 1/21-1, S. 81. Auch 1591 wird die Obermühle von den Herwigs betrieben, der Pfarrer notiert im Kirchenbuch: „Gertruda Herwigen Obermöller f[ili]a.“8Kirchenbuch Oberellen 1579-1623, LKAE, KBF, K 1/21-1, S. 172.

Ab 1594 lässt Lippold von Hanstein ein Schloss in Oberellen errichten, das Georg Voss als „Bau von rechteckiger Grundform mit steinernem Erdgeschoss und einem Obergeschoss aus kunstlosem Fachwerk“ beschreibt.9P. Lehfeldt, G. Voss: Bau- und Kunst-Denkmäler Thüringens. Heft XXXV. Herzogthum Sachsen-Meiningen. Kreis Meiningen. Amtsgerichtsbezirk Salzungen. Jena 1909. 1. Reprintauflage 2013. S. 100 Es ist in dieser Form bis heute erhalten, während später hinzugefügte Gebäude und Stallungen, die Plänen10Rittermannlehngut Oberellen Bd.1, Familie von Hanstein, LASA, E 75 C IV Nr. 5 zufolge den Innenhof umschlossen, nicht mehr existieren.

Schloss zu Oberellen

Während das Schloss in Oberellen gebaut wird, wechselt der Besitzer der Obermühle. Im Januar 1597 wird erstmals ein Müller Glaser im Kirchenbuch genannt – in wenig schmeichelhaftem Zusammenhang: „Elisabeth Kiesseln, leugnet das sie mit dem Ob=möller Clasen [Glaser] Hurerey und Un=Zucht treibe, er hab Ihr auch keine Hure gekaufft“ 11Kirchenbuch Oberellen 1579-1623, LKAE, KBF, K 1/21-1, S. 229. Ende des Jahres erwähnt der Pfarrer noch einmal den Müller Glaser: „25 Decembris Anno 1597. Heinrich Glasener Obermöller“12Kirchenbuch Oberellen 1579-1623, LKAE, KBF, K 1/21-1, S. 239.

1599 deuten Einträge im Kirchenbuch auf einen erneuten Wechsel in der Mühle hin: „Hans Glaser alter Obermöller“ und „Dorothea Gleserin, alt Obermöllerin“13Kirchenbuch Oberellen 1579-1623, LKAE, KBF, K 1/21-1, S. 253 heißt es da. Zum Jahreswechsel 1600 wird dann ein neuer Müller erwähnt: „Valten Thren Obermöller“14Kirchenbuch Oberellen 1579-1623, LKAE, KBF, K 1/21-1, S. 259. In den darauf folgenden Jahren 1601 und 1602 ist auch dessen Ehefrau unter den Gottesdienst-Besuchern: „Margretha Thren Obermöllern“. Im Jahr 1606 führt das Kirchenbuch wiederum eine Familie Glaser in der Obermühle auf: „18. Aprilis am Charfreitag Baptisaui Elia Salomons Filia quam suscepit Ottilia Glaserin Obermöllern ej. nomen refert.“15Kirchenbuch Oberellen 1579-1623, LKAE, KBF, K 1/21-1, S. 39.

Zwei Jahre später taucht in den Kirchenbüchern erstmals der Name Stein im Zusammenhang mit der Obermühle auf.


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